zwei Spieler im Fußball-Dress klatschen sich ab

KI-Systeme, die die psychologische Performance von Fußballspielern bewerten sollen, werden unter anderem mit Interaktionsdaten gefüttert. Dazu zählt auch Jubel wie hier zwischen zwei Spielern von RZ Pellets WAC in der österreichischen Bundesliga am 4. Mai.

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Digital Life

Wie Künstliche Intelligenz im Profi-Fußball eingesetzt wird

Fußball wird zunehmend zum datengetriebenen Sport: Bewegung, Spielerposition, Pässe, Torschüsse, Zweikämpfe und so weiter werden schon lange systematisch per Kamera und GPS erfasst. Sensoren am Körper messen außerdem Gesundheitsdaten von Spielerinnen und Spielern, z.B. die Herzfrequenz. Im Profibereich beginnt sich derzeit ein weiterer Aspekt zu etablieren: die Erhebung und Auswertung psychologischer Daten.

Das Start-up Inside Out Analytics aus Norwegen hat sich genau darauf spezialisiert. Es entwickelt ein KI-System, das das Verhalten von Spielerinnen und Spielern erfasst, interpretiert und quantifiziert. Nach eigenen Angaben arbeitet das Unternehmen u.a. mit Teams aus der Champions League, der englischen Premier League und der deutschen Bundesliga zusammen. Ob auch österreichische Vereine zu seinen Kunden gehören, bleibt nach futurezone-Anfrage unbeantwortet.

Emotionale Kontrolle und Führungsstärke

Gegründet wurde das Unternehmen von Ex-Fußballprofi Yaw Amankwah und Psychologieprofessor Geir Jordet. Die beiden wollen Spielerstatistiken um psychologische Aspekte wie emotionale Kontrolle und Führungsstärke erweitern.

„Sobald man einmal von der Taktik absieht und nur auf den psychologischen Teil des Spiels und der Spieler durch diese Perspektive betrachtet, ist es unmöglich, das zu übersehen. Es sind die subtilen, nonverbalen Botschaften, die zeigen, ob Spieler sehr selbstbewusst, aggressiv oder in ihrer eigenen Blase sind“, sagte Amankwah gegenüber dem Guardian.

Erst händisch, jetzt per KI

Die beiden Start-up-Gründer analysierten zusammen mit ihrem Team seit 2019 lang tausende Stunden von Fußball-Aufzeichnungen aus der ganzen Welt. Aus dem Verhalten der Spielerinnen und Spieler – z.B. Körperhaltung, Gesten oder gegenseitiges Schulterklopfen – leiten sie deren psychologische Performance ab. Diese Informationen sollen dann dem Trainerteam etwa dabei helfen, die Aufstellung zu planen.

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Die Analysearbeit von Amankwah und Jordet verlief lange händisch. Algorithmische Systeme erleichtern den Prozess und ermöglichen ganz neue Schlussfolgerungen. „Bald haben wir kaum mehr ein Limit, wie viele Teams wir gleichzeitig analysieren können. Und dann können wir anfangen, Vereine über Neuverpflichtungen zu informieren, oder sie auf jemanden aufmerksam machen, von dem sie vorher nichts wussten“, meint Jordet im Hinblick auf Transfers von Spielerinnen und Spielern.

Kein direkter Zusammenhang

„Die Psychologie ist die Wissenschaft vom Denken, Fühlen und Verhalten des Menschen“, sagt René Riedl, Professor für Digital Business und Innovation an der FH Oberösterreich in Steyr und selbst ehemaliger Profifußballer. „Wenn man das Verhalten eines Fußballspielers analysieren will, ist das mit aktueller Technik recht einfach zu erfassen. Aber wenn es um das Denken und Fühlen geht, wäre ich vorsichtiger.“

Im Labor könne man dafür auf Kernspintomografien oder EEG-Sensoren zurückgreifen, auf dem Fußballfeld sei das beim heutigen Stand der Technik unmöglich, so der Psychologe. Außerdem gebe es keinen direkten Zusammenhang zwischen den einzelnen Datenpunkten und Ergebnissen: „Das auf-die-Schulter-Klopfen hat nichts mit Sieg oder Niederlage zu tun.“ 

KI-Innovation

Aber genau dabei könnten KI-Systeme glänzen, meint Riedl: „Klassische regelbasierte Systeme könnten solche indirekten Zusammenhänge nicht erkennen. Aber KI funktioniert fundamental anders, sie lernt Muster zu erkennen, was die Vorhersage verschiedener Variablen ermöglicht, z.B. Spielerfolg.“ Statt eines vorher definierten theoretischen Ablaufs werde nach dem „Black Box“-Modell, also nicht nachvollziehbar, prognostiziert.

Voraussetzung dafür seien eine mindestens dreistellige Anzahl an Datenpunkten aus vergangenen Spielen. Diese reichten von Gesundheitsdaten, über Torschuss-Anzahl, gesprintete Distanzen bis hin zu Ergebnissen. „Wenn das System ‚gut gelernt‘ hat, könnte man den Algorithmus dann irgendwann in Echtzeit anwenden. Das heißt, Trainer können erkennen, ob das Spiel in die richtige Richtung geht und ihre Entscheidungen direkt anpassen“, erläutert der Psychologe.

Keine Privatsphäre für Profi-Spieler

Doch die steigende Wichtigkeit von Datenanalysen birgt auch Gefahren. Einerseits schwinde die Privatsphäre von Spielerinnen und Spielern, wenn sämtliche ihrer Gesundheitsdaten für das Trainerteam zur Auswertung bereitstünden. Oftmals werden intime Details auch in der Presse veröffentlicht, z.B. Krankenstandstage oder Verletzungsdaten. 

„Wir hatten in meinem Studiengang letztes Jahr eine Masterarbeit dazu. Da wurde herausgefunden, dass Technologieeinsatz größtenteils positive Auswirkungen auf die Spielerleistung hat. Gleichzeitig gab es deshalb in fast der Hälfte der untersuchten Fälle Wut und Frustration bei den Spielern“, berichtet Riedl. Technologien zur psychologischen Analyse, wie sie das Start-up Inside Out Analytics bietet, waren da noch gar nicht berücksichtigt. Wenn diese noch dazukommen, werden Spieler noch „gläserner“. 

Mensch könnte in der Technik untergehen

„Je mehr dieser Technologieeinsatz voranschreitet, desto mehr entwickeln Menschen das Gefühl, nicht mehr selbstbestimmt zu handeln“, erklärt Riedl. Das sei schädlich für die Motivation. Überhaupt gehe die Technologisierung des Sports mit einer Dehumanisierung einher.

FUSSBALL: ADMIRAL BUNDESLIGA / MEISTERGRUPPE / 7. RUNDE: SK RAPID - RZ PELLETS WAC

Trainer im Profifußball, wie hier Dietmar Kühbauer vom WAC, können ihre Entscheidungen auf eine immer größer werdende Datengrundlage stellen.

Es bestehe die Gefahr, dass bei Spielern, Trainern und Funktionären nur noch die in Daten abgebildete Performance gelte. Ein Opt-Out sei dann unmöglich, meint der Ex-Fußballprofi: „Als Spieler hast du ja faktisch keine Wahl, du kannst nicht gegen diese massive Datenanalyse sein, das ist Teil des Spiels.“

Big Business

Digital-Business-Professor René Riedl sieht die Quantifizierung aller Aspekte des Fußballs als Teil eines generellen Trends. Heute würden in sämtlichen Branchen Datenanalysen eingesetzt, um Prozesse produktiver zu machen und letztlich Profite zu steigern. Die Fußballwirtschaft mit ihren vielen verschiedenen Geschäftsfeldern von Merchandise bis Sportwetten sei da keine Ausnahme. Junge Zielgruppen erwarten teilweise auch immer mehr digitale Zusatzangebote rund ums Spiel.

„Es ist definitiv so, dass Fußballvereine heute Leute beschäftigen, die in Softwarefragen fachkundig sind“, sagt Riedl. In der englischen Premier League gebe es ganze Abteilungen mit Data Scientists, in Österreich habe er davon noch nichts gehört. Hierzulande sei es eher üblich, entsprechende Software zu kaufen und an die Bedürfnisse eines Vereins anzupassen, als selbst vereinsintern etwas zu entwickeln.

In Österreich noch viel Potenzial

Und wie sieht es nun konkret mit KI und Psychologie im österreichischen Fußball aus? „Der ÖFB setzt künstliche Intelligenz gezielt zur taktischen Analyse ein, etwa zur Auswertung von Spielmustern, Laufwegen oder Positionsdaten“, erklärt eine Sprecherin des Österreichischen Fußball-Bunds auf futurezone-Anfrage. Psychologische Analysen würden derzeit noch nicht angewandt, weil es dafür keine belastbare Datengrundlage gebe. Mehrere futurezone-Anfragen an die österreichischen Top-Ligisten blieben leider unbeantwortet, auch aus der Szene der Mental-Coaches für Fußball-Profis kann niemand etwas zum Thema sagen.

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Riedl erwartet noch viel Innovation, was Fußball-Daten betrifft. Vereine könnten noch viel mehr mit der Forschung zusammenarbeiten und weitere Beteiligte in die Datenanalysen einbeziehen, etwa gegnerische Mannschaften, das Schiedsrichterteam, die Spielerinnen und Spieler auf der Ersatzbank sowie Trainer. „Mit KI kann man die Perspektive erweitern, von Einzelspieleranalysen zu Gruppenanalysen, inklusive Fangesängen, Provokationen und so weiter, da gibt es noch viele ungehobene Potenziale, die man aufzeichnen und auswerten könnte“, sagt Riedl.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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Jana Wiese

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