
Konzeptgrafik eines Hyperschallgleiters
China will Satelliten mit Atomraketen bewaffnen
Eine neue Studie der chinesischen Armee enthält ein brisantes Detail. Konkret haben Forscher der People's Liberation Army Rocket Force (PLARF) den aktuellen Status von Hyperschallraketen analysiert. Die PLARF ist ua. für die taktischen und strategischen Raketen der chinesischen Armee zuständig, zu denen auch die atomaren Interkontinentalraketen zählen.
Laut der Analyse können Hyperschallraketen nicht nur vom Boden oder Flugzeugen aus gestartet werden, sondern auch direkt im Weltraum, berichtet scmp.
Bis zu 25.000 km/h schnell
Der Kernpunkt der Analyse sind Hyperschallgleiter (Re-Entry Glide Vehicles - RGVs). RGVs werden üblicherweise durch Raketen in den Weltraum gebracht. Dort gleiten sie dann, in etwa 40 bis 100 km Höhe, mit hoher Geschwindigkeit Richtung Ziel. Die RGVs bewegen sich laut der PLARF mit Mach 15 bis 20, was in etwa 18.500 bis 25.000 km/h entspricht. Die Gleiter könnten so innerhalb von 30 Minuten Ziele überall auf der Welt erreichen.

Unterschied zwischen ballistischer Rakete (oben), Gleiter (mitte) und Marschflugkörper (unten).
© U.S. Government Accountability Office
In der Analyse schreibt die PLARF, dass die RGVs „von Satelliten, Launchers am Boden oder diversen Plattformen“ starten können. Nicht könnten, sondern können. Das heißt aber nicht, dass China bereits über einen Satelliten-tauglichen RGV verfügt. Dennoch ist die Aussage beachtlich, da sich bisher die chinesische Armee nicht öffentlich zu dieser Option geäußert hatte. In diesem Fall ist das jetzt passiert, weil die Analyse im chinesischen Fachjournal Acta Aeronautica et Astronautica Sinica erschienen ist.
Die Analyse erklärt, was der Vorteil wäre, ein RGV von einem Satelliten aus zu starten, statt mit einer Rakete vom Boden aus. Dies würde „drastisch die Reaktionszeit der feindlichen Frühwarnsysteme reduzieren und damit die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Penetration erhöhen.“ Vereinfacht gesagt: Wenn der Feind den RGV erst bemerkt, wenn der schon mit Mach 20 unterwegs ist, hat er weniger Zeit für Abfangmaßnahmen.
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Abwehrmaßnahmen gegen Hyperschallwaffen werden besser
Dies ist laut der Analyse relevant, weil die aktuelle Generation von Hyperschallraketen kritische Schwachstellen habe. Um RGVs in den Weltraum oder zumindest an die Grenze davon zu bringen, sind leistungsstarke Raketen nötig. Deren Triebwerke erzeugen viel Hitze, was bedeutet, dass sie eine große Infrarotsignatur haben. Die USA und andere Länder nutzen ua. ein Netzwerk aus Satelliten mit Infrarotsensoren, um genau solche Raketenstarts frühzeitig zu erkennen.
Weiters haben laut der Analyse die USA ein recht gutes Netzwerk zum Abfangen von ballistischen Raketen, das auch gegen Hyperschallraketen eingesetzt werden kann. Neben den Infrarot-Satelliten gibt es Frühwarnradar und Abfangraketen, wie die THAAD-ER und SM-6.
Diese haben die höchste Erfolgsquote, wenn der RGV sich in der Terminal Phase befindet – also im Zielanflug. Dabei wird er langsamer, um das Ziel präzise treffen zu können. Bei Hyperschallgeschwindigkeiten entstehen nämlich zu viele Störungen, die die Funktionen der Sensoren des RGVs negativ beeinflussen.
Die USA und andere Länder entwickeln zudem „Glide Phase Interceptors“. Diese sollen den RGV schon in der Mid Flight Phase, also während er mit mehr als Mach 5 gleitet, treffen können. Damit könnten mit dem Frühwarnnetzwerk RGVs in einer Flughöhe von 15 bis 100 km bekämpft werden, was die Chance für das Treffen des Ziels deutlich reduziert.
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Gleiter soll sich die Flugroute selbst aussuchen
Wenn der Gleiter aber von einem Satelliten aus startet, der in mehr als 300 km Höhe fliegt, könnte er einen Teil der Strecke unerreichbar und womöglich unbemerkt vom Frühwarnsystem zurücklegen. Die PLARF bezeichnet dies als nötige Durchbrüche in der Technologie, damit RGVs den Abfangraketen ausweichen und ihr Ziel erreichen können.
Als weitere Maßnahmen schlagen die Forscher der PLARF vor, Künstliche Intelligenz zu nutzen. Durch Machine Learning soll ein Algorithmus entwickelt werden, der Echtzeitdaten auswertet. Die Daten werden von den Sensoren des Gleiters gesammelt und kommen aus den militärischen Netzwerken. Der Gleiter soll dadurch selbst entscheiden können, welche Gebiete er beim Zielanflug meidet, um nicht abgefangen zu werden und welche Flugroute die höchste Erfolgschance hat.
Das würde laut der PLARF auch den Weg für ein autonomes Wechseln des Ziels ebnen. Kann das Primärziel wegen der Flugabwehr nicht erreicht werden, wird ein weniger stark verteidigtes Ziel angeflogen. Auch Schwarmangriffe mit mehreren RGVs, die sich untereinander koordinieren und Lock- bzw. Ablenktaktiken einsetzen, damit zumindest einer von ihnen das Ziel erreicht, seien eine Option.
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Schutz gegen Laser und EMP
Außerdem wird empfohlen, dass die RGVs der nächsten Generation besser geschützt werden gegen moderne Formen der Flugabwehr. Die PLARF nennt hier etwa elektronische Kriegsführung, mit der Signale und Sensoren blockiert werden könnten, aber auch den Beschuss mit Laserwaffen. Zudem sollten die Gleiter vor nuklearen Explosionen geschützt werden.
Gemeint ist damit vermutlich Schutz gegen einen nuklearen elektromagnetischen Impuls (NEMP), der die elektronischen Systeme des Gleiters zerstören würde. Ein NEMP entsteht, wenn eine Atomwaffe in einigen 100 km Höhe gezündet wird. In manchen Ländern wurde darüber diskutiert, ob mit NEMPs Hyperschallraketen abgefangen werden können.
Sind Raketen auf Satelliten realistisch?
Auch wenn es nach dem Plan eines James-Bond-Bösewichts klingt, sind Satelliten, die RGVs starten, nicht völlig als Fiktion abzuschreiben. Natürlich ist es auch Propaganda, dass die chinesische Armee über diese Option redet – was aber nicht heißt, dass es nicht tatsächlich geplant ist.
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Aus strategischer Sicht würde es Sinn machen. Ein RGV am Satelliten könnte jahrzehntelang um die Erde kreisen und nur auf den Angriffsbefehl warten. Selbst wenn die USA diesen einen Satelliten genau überwachen, könnte die Reaktionszeit zu kurz sein, um den Gleiter abzufangen, wenn er unerwartet startet.
Aktuell gibt es physikalische Limitationen für solche Pläne. Der RGV müsste bereits am bzw. im Satelliten verstaut sein, damit beides zusammen von der Erde aus ins All gebracht wird. Das reduziert maximale Größe und maximales Gewicht des Gleiters und damit dessen mögliche Nutzlast – also wie schwer der Gefechtskopf sein kann.
Das schränkt die Durchschlagskraft ein und wirft die Frage auf, ob ein Satelliten-RGV nur mit einem nuklearen Gefechtskopf Sinn macht. Die Menge an konventionellen Sprengstoff könnte nicht reichen, um ein Prioritätsziel, wie etwa einen Flugzeugträger der Gerald-R.-Ford-Klasse oder einen Kommandobunker, zu zerstören.
Dies könnte sich mit der Langer Marsch 9 ändern. Das ist die Superschwerlastrakete, an der China gerade arbeitet.
Offiziell soll sie dazu dienen, ab dem Jahr 2035 Material für Chinas geplante Mondbasis ins All zu transportieren. Mit einer Nutzlast von angeblich bis zu 150 Tonnen (niedriger Erdorbit) könnte die LM-9 aber auch Satelliten mit großen, bzw. schwereren RGVs ins All bringen – womöglich sogar mehrere gleichzeitig.
Kampf im Weltraum
Die USA nehmen die Gefahr von Satelliten jedenfalls ernst. Die Space Force mahnte bereits mehrfach, dass China seine Weltraum-Kapazitäten sehr rasch erweitert und man Gefahr laufe, hier ins Hintertreffen zu geraten. So wurde etwa beobachtet, wie China mit Satelliten Dogfights geübt hat.
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Die Space Force geht deshalb davon aus, dass China an Jagd-Satelliten arbeitet, um etwa amerikanische Satelliten zu zerstören, die für die militärische Kommunikation und Aufklärung genutzt werden. Sollte China wirklich RGVs im All stationieren, wird es vermutlich auch solche Jagd-Satelliten zu deren Schutz einsetzen wollen. Sonst könnten die USA ihrerseits versuchen, diese RGV-Satelliten mit eigenen Jagd-Satelliten zu zerstören, um deren Start zu verhindern, wenn es zu einem militärischen Konflikt kommt.
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